,,Ich bin nicht die Sarrazine"

Teaser Bild Untertitel
Quelle: Peter von Bechen_pixelio.de

Ein Interview mit der Food-Journalistin Rosa Wolff, die versucht hat, sich mit dem Budget eines Hartz-IV-Empfängers einen Monat lang von Bio-Lebensmitteln zu ernähren.

 

Weshalb essen Sie eigentlich Bio?

Ich habe angefangen, Biosachen zu kaufen, als mein Sohn zur Welt kam, das ist 26 Jahre her. Für sein Kind möchte man nur das Beste. Das beste Essen natürlich, und zum anderen möchte man ihm nicht einen komplett ramponierten Planeten hinterlassen.

Wie kamen Sie auf die Idee, sich mit Bio-Lebensmitteln auf Hartz-IV-Niveau zu ernähren?

Die Idee zu dem Versuch hatte ich schon länger, weil ich mich oft geärgert habe, wenn im Bekanntenkreis Leute, die über mehr als genug Geld verfügen, sagten, Bio sei ihnen zu teuer. Als im letzten Jahr mein Hauptauftraggeber dicht gemacht hat und Hartz IV plötzlich als reale Drohung am Horizont stand, wollte ich wissen, ob das wirklich schaffen ist, da für mich immer klar war, dass ich weiter Bio kaufen würde.

Wie viel Geld stand Ihnen zur Verfügung?

Ich bin damals von 4,35 Euro pro Tag ausgegangen. Das war der Satz bis Mitte letzten Jahres.

Das hat aber sicher auch recht viel Zeit in Anspruch genommen?

Für mich war es in dem Moment mein Hauptjob, ich habe meine Erfahrungen ja auch gleich niedergeschrieben. Aber ich finde es sinnvoll, Zeit damit zu verbringen, mit dem wenigen Geld möglichst gut einzukaufen und gut zu kochen. Zwei Stunden am Tag hat es etwa gedauert, Preise zu vergleichen, einzukaufen, zu kochen. Dabei war es auch interessant, die Preisunterschiede zwischen Bioläden, Discountern und normalen Supermärkten zu sehen. Ich habe festgestellt, dass die Discounter zwar im konventionellen Bereich billig sind, aber eher selten im Bio-Bereich.

Wirklich? Gibt es da große Unterschiede?

Ich erinnere mich an den allerersten Einkaufstag. Ich war hier um die Ecke im nächsten Bioladen. Ich habe mir damals eine Kiwi gekauft, die hat 29 Cent gekostet. Dann bin ich noch zu Rewe gegangen. Dort kosteten die konventionellen Kiwis 29 Cent, die Bio-Kiwis kosteten 45 Cent, noch dazu abgepackt, 4 Stück zu 1,80 Euro. Im „normalen“ Laden ist für Bio offenbar ein Exotenaufschlag fällig. Vorteil im Bioladen ist auch, dass ich mir die Sachen einzeln raussuchen kann. Manchmal ist der Kilopreis beim Discountern zwar zehn, zwanzig Cent drunter, aber ich kann die Packung womöglich gar nicht rechtzeitig aufbrauchen. Das Zeug wird dann mindestens unfrisch, wenn nicht gar gammlig. Ein wichtiges Argument für den Bioladen ist für mich, dass ich nicht ständig mit den niedrigen Preisen der konventionellen Sachen konfrontiert werde und mein innerer Schweinehund auf den Prüfstand gestellt wird. Bei Aldi etwa: 19 Cent kosten „normale“ Nudeln, die Bionudeln 99 Cent. Ich möchte nicht der Versuchung der billigen Preise erliegen. Das Argument „Bio ist zu teuer“ halte ich insofern für falsch, als die Preise, die ich heute im Bioladen bezahle, in etwa jenen entsprechen, die ich in den 70ern und 80ern im normalen Supermarkt bezahlt habe.

Ich habe einmal eine Familie begleitet, die sonst kaum Bio kauft. Die standen im Biomarkt und sahen, dass fettarme H-Milch hier 1 Euro kostet statt 46 Cent wie beim Discounter. Die Frau sagte bloß: „Wahnsinn“. Da habe ich zurück gefragt: „Wo ist der Wahnsinn? Bei dem Euro oder bei den 46 Cent?“ Wenn Sie einen Bauern fragen, ist klar: Der Wahnsinn sind die 46 Cent.

Gibt es eigentlich einen Unterschied zwischen dem Discounter-Bio und dem Bioladen-Bio? Haben Sie da was festgestellt?

Beim Discounter-Bio kann man davon ausgehen, dass in der Regel nur der EU-Mindeststandard eingehalten wird. Im Bioladen zwar zum Teil auch, aber viele Produkte dort – etwa von Bioland, Naturland oder Demeter – sind nach strengeren Regeln hergestellt. Das ist dann das bessere Bio.

Also gibt es Bio erster und Bio zweiter Klasse?

Nehmen wir als Beispiel das Ei: Demeter erlaubt so gut wie keine Zusatzstoffe, und auch diese wenigen sind koscher. Es darf absolut kein Nicht-Bio-Futter zugefüttert werden. Beim EU-Bio-Standard dürfen hingegen 5-10% konventionelles Futter dazugegeben werden.

Sie haben in Ihrem Test versucht, drei Grundsätzen zu folgen: Erstens sollte alles Bio sein, zweitens wollten Sie eine ausreichende Kalorienzahl erreichen, drittens auch noch möglichst viel Obst und Gemüse essen. Ließ sich das vereinen?

Nun ja, satt werden wollte ich auf jeden Fall – was gar nicht so einfach war. Am zweiten oder am dritten Tag war mir beispielsweise klar: Fettarmer Joghurt ist ein dämliches Produkt, wenn man wenig Geld hat. Wir sind ja alle an ein Überangebot an Essen gewöhnt und müssen eher zusehen, dass wir nicht zu dick werden. Wenn es darum geht, mit wenig Geld das Nötige ranzuschaffen, hat man andere Probleme: Dann ist es gescheiter, man kauft die Sachen naturbelassen und lässt sich keine Kalorien wegnehmen. Genug Obst und Gemüse ist das Schwierigste. Bio für wenig Geld ist kein Problem, wenn man nur Spaghetti mit Tomatensauce isst. Gemüse und Salat kosten viel und sättigen kaum. Besonders mühsam ist’s im Frühjahr: Im Mai etwa sind Wintergemüse und -obst zu Ende, und es gibt kaum Neues außer Erdbeeren und Spargel, und die sind jenseits von Gut und Böse im Preis. Salat oder Gurken sind im Mai sehr teuer. Im Sommer gibt es sie im Überfluss und man kann richtig schwelgen.

Zum Bio-Anspruch kommt also auch noch der Wunsch nach Saisonalität hinzu.

Das ergibt sich, wenn man wenig Geld hat, zwangsläufig. Es wird einem durch die Preise diktiert. Auch im Bioladen gibt es mittlerweile vieles rund ums Jahr. Aber die Erdbeeren, die man auch im Winter manchmal im Bioladen bekommt, verbieten sich aufgrund des Preises.

Das ist ja für die Umwelt auch nicht so toll, wenn die so weit verschifft wurden…

Das ist eine komplizierte Materie. Der deutsche Apfel etwa ist im Herbst in der Ökobilanz konkurrenzlos. Aber wenn er den ganzen Winter über in klimatisierten Lagerhäusern gelagert wird, kippt die Bilanz bis zum Frühsommer. Wenn ich im Mai oder Juni einen deutschen Apfel kaufe, ist der von der Ökobilanz her möglicherweise sogar schlechter als ein argentinischer Apfel, der rübergeschippert kommt.

Mussten Sie aufgrund des Preises auf bestimmte Sachen ganz verzichten?

Was man sich mit wenig Geld kaum leisten kann, sind Bio-Fleisch und Biowurst. Ich habe nicht rein vegetarisch gegessen, weil ich das nicht beschränken wollte. Ich habe eher versucht, soviel Fleisch wie möglich unterzubringen. Es ist zwangsläufig wenig. Man kann sich ab und zu mal ein bisschen Hackfleisch kaufen, das war’s dann schon. Wurst ist noch was anderes: Da sind die teuren Sorten eigentlich sogar die günstigeren, weil eine richtig gute durchgereifte Salami mehr hergibt als ein billiger Bierschinken, der in zwei Tagen gammlig ist und vom Gewicht her nur aus Wasser besteht. Eine gute Salami ist unterm Strich günstiger.

Hat der Hartz-IV-Satz denn letzten Endes für Bio-Essen ausgereicht?

Also, ich bin nicht die Sarrazine, die beweisen will, wie toll das ist mit Hartz IV. Es ist schwierig, ob Bio oder nicht Bio. Die Hartz-IV-Sätze sind quälend niedrig. Das zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Ich habe auch auf die anderen Posten geguckt, was man dem Regelsatz zufolge ausgeben darf: für Freibad oder Fahrrad. Es ist zu wenig. Es geht ja darum, menschenwürdig zu leben, und das ist mehr, als sich nur physisch zu erhalten. Ein bisschen Freude muss auch drin sein. Im übrigen plädiere ich für ein bedingungsloses Grundeinkommen, weil dabei im Gegensatz zu Hartz – egal wie kleinlich oder großzügig der Satz bemessen ist – die demütigende Bedürftigkeitsprüfung entfiele.

Außerdem plädieren Sie dafür, dass jeder, der mehr als Hartz IV hat, sich von Bio ernähren kann.

Wenn sich jemand nie für Bio interessiert hat, dann wird er damit nicht anfangen, wenn er vom einen Tag auf den anderen Hartz IV bezieht. Aber Menschen, die sich biologisch ernähren wollen und wenig Geld haben, kann das Buch ermuntern und ihnen Hilfestellung geben. Zugleich ist es ein Appell an alle, die mehr Geld haben: Es geht! Wenn ich es mit dem wenigen Geld geschafft habe, dann braucht ihr, die ihr mehr habt, wirklich nicht zu jammern, dass euch Bio zu teuer ist!